Miniatur_Hilary Mantel: Von Geist und Geistern
- chock50
- 17. Sept. 2023
- 1 Min. Lesezeit
Dumont, 2015.
«Du kommst an diesen Ort, deine mittleren Jahre, du weisst nicht, wie du hergekommen bist, und plötzlich starrst du der Fünfzig ins Gesicht. Wenn du dich umdrehst und auf die Jahre zurückblickst, erkennst du die Geister anderer Leben, die du hättest führen können. Deine Häuser werden von den Personen heimgesucht, die du hättest sein können. Geister und Phantome kriechen unter deine Teppiche und ins Gewebe deiner Vorhänge, sie lauern in Schränken und liegen flach unter dem Schubladenpapier. Du denkst an die Kinder, die du hättest bekommen können, aber nicht bekommen hast. Wenn die Hebamme sagt: «Es ist ein Mädchen», wohin geht dann der Junge? Wenn du denkst, du bist schwanger, und dann bist du es nicht, was ist dann mit dem Kind, das in deinem Kopf bereits Form angenommen hat? Das alles hast du in einer Schublade deines Unterbewusstseins abgelegt, wie eine Kurzgeschichte, die nach den ersten Sätzen nicht funktionieren wollte.»
S. 30

Hilary Mantel stellt sich in dieser Autobiographie ihren Geistern: All, dem was hätte sein können; all dem, was war; all dem, was im Unsichtbaren haust und ins Licht kommt und all dem, was im Dunklen bleibt. Kurz: All dem, was unser Leben zu unserem Leben macht. Von Geistern, die das Leben bevölkern und vom Geist, der daraus ein einzigartiges Leben formt.
Für Liebhaber*innen von
# gewundenen Lebensläufen
# Hilary Mantel
# Häusern – nicht nur als Wohnort, sondern als Lebensraum

Kommentare