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Zitat zum Sonntag_Lorraine Daston: Regeln. Eine kurze Geschichte

Übersetzung: Michael Bischoff.

"Die Gegner von Regeln reiben sich an den Einschränkungen, die sie ihnen auferlegen. Der gesunde Menschenverstand scheint allenthalben behindert zu werden; neue und bessere Möglichkeiten werden durch Bürokratie erstickt; von realen Maschinen durchgesetzte Regeln nehmen keine Rücksicht auf die natürliche Vielfalt der Personen und Umstände. Wer hat nicht schon ein verstocktes Computerprogramm oder einen Online-Algorithmus verflucht, wohl wissend, dass all diese Flüche vergebens sind? Doch jede Regel, so starr und eindeutig sie sein mag, bietet zugleich auch Gelegenheit zu einem verdeckten Nachdenken. Wann immer wir eine Regel befolgen (oder umgehen), erweisen wir genau jenen Fähigkeiten die Ehre, die von expliziten Regeln verbannt werden: Urteilsvermögen, Ermessen und Denken in Analogien. Welche Regel passt in diesem Fall am besten? Muss sie justiert werden, damit sie noch besser passt? Was genau verlangt eine bestimmte Regel? Sollte der Buchstabe oder der Geist der Regel den Vorrang haben? In normalen Zeiten erfolgt unser Urteil in diesen Dingen so rasch und sicher, dass wir es gar nicht bemerken. In anormalen Zeiten, wenn wir ohne ein Regelbuch plötzlich vor aussergewöhnlichen Situationen stehen, uns in einer "Bruchsituation" wiederfinden, werden wir uns erneut der Tatsche bewusst, dass es keine Regeln gibt, die uns bei der Diskussion über Regeln helfen könnten."

S. 328f.

 
 
 

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