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Zitat zum Sonntag_Rebecca Solnit: Umwege. Essays für schwieriges Terrain

Übersetzung: Michaela Grabinger


«Ausserdem finde ich Kompliziertes schön. Finde es schön, den mühsamen Wegen zu folgen, die man zurücklegen muss, bis etwas Wirkung zeigt. Das verschachtelte Gefüge von Zusammenhang und Ursache zu betrachten. Die Kraft beharrlicher Geduld und langfristiger Sicht zu erleben. Zu begreifen, dass Veränderung oft in der Peripherie und mit Bewegungen und klugen Köpfen beginnt, die zuvor als unbedeutend abgetan worden sind, auch wenn der Wandel im Fortschreiten häufig zur Mitte hinrückt und seine Reise im Scheinwerferlicht beendet, das die Zentren der Macht bestrahlt. Finde es schön zu wissen, wie sehr Kultur - die meinem Verständnis nach tief im Untergrund unserer kollektiven Weltanschauungen wirkt - die Oberfläche formt, auf der sich Politik abspielt. Finde es schön und freue mich, dass eine Handlung auch dann enorm wichtig sein kann, wenn wir im Moment des Handelns noch gar nicht wissen, in welcher Hinsicht und weshalb (und dass der Wert solchen Tuns vielleicht erst Jahrzehnte oder ganze Menschenalter später ermessen werden kann, weil manche Bücher, Handlungen oder Ideen Geschenke an eine Nachwelt sind, die sich die Schenkenden gar nicht vorstellen konnten). Finde es schön, die kleinen Ereignisse - Begegnungen, Zufälle, Epiphanien - wertzuschätzen, die oft tiefgreifende Folgen haben. Die Wörter kurzsichtig und unausweichlich sind gängige Begriffe; ich hätte gern das Wort langsichtig für die Fähigkeit zu sehen, wie im Lauf der Zeit Muster entstehen, und, sagen wir, das Wort ausweichbar als Gegenteil von unausweichlich

S. 8f.



 
 
 

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